Ungeduld. Ein ständiger Begleiter
Werfen wir unseren Blick doch einmal auf Menschen, die uns tagtäglich vis a vis begegnen oder im Fernsehen zu sehen sind. Und fragen wir uns auch einmal, was oder wieviel sie an sich selbst verändert oder ergänzt haben lassen. Wir alle betreiben mehr oder weniger alltägliche Selbstoptimierung, wenn wir schöne Kleidung wählen, Schmuck anlegen, uns die Haare stylen und Kosmetik auftragen. Schon kleine Kinder ahmen ihre Mütter nach und steigen in ihre, für sie noch viel zu großen High Heels und Kleider und fühlen sich darin „einfach“ schön.
Feelin` good…
Ein chronisch hauterkrankter Mensch wünscht sich, sich in seiner eigenen Haut so wohl zu fühlen wie ein Hautgesunder. Er kann schöne Kleidung und Schmuck tragen, sich die Haare zurecht machen und Kosmetik einsetzen. Das Gefühl jedoch erweist sich in der Regel nicht als dasselbe. Denn das Hautgefühl wird durch verschiedenste Symptome überlagert bzw. gemindert: Juckreiz oder Rötungen, Entzündungen, schuppige oder depigmentierte Areale kennzeichnen die Haut von chronisch Hauterkrankten. Hinzu kommt, dass Hautbetroffene oftmals nicht die Regelware der Drogerie der Wahl verwenden können und auf hypoallergene Produkte umsteigen müssen, weshalb ihre Selbstoptimierungsmöglichkeiten begrenzt sein können.
Bein` trendy…
Folgen wir aktuellen Trends, so wird deutlich, dass im Vergleich zu vor 20 Jahren Menschen heute mehr denn je viefältige Areale ihres Körpers „pimpen“ lassen. Haare wirken durch den Einsatz von Extensions voller und länger, Wimpern werden aufgefüllt und zaubern einen Hollywood tauglichen Augenaufschlag in den Alltag, Nägel werden verlängert und in Wunschfarben für mehrere Wochen kratzfest und alltagstauglich gemacht. Hyaluron und Botox werden gespritzt, um Gesichter länger faltenfrei und jugendlich aussehen zu lassen. Der Mensch wirkt auf diese Weise vitaler, schöner und vor allem perfekter. Aber was macht dieser perfekte Anschein mit Menschen, die ohnehin schon aufgrund von Hauterkrankungen nicht dem durchschnittlichen Ideal entsprechen können?
Totally alive…
Als chronisch Hauterkrankter wird von einem verlangt, vor allem Geduld und Verständnis dafür zu haben, dass sich der Verlauf der eigenen Hauterkrankung alles andere als vorhersagbar erweist. Der Hautbetroffene wünscht sich jedoch nichts anderes, als eben diese Hauterkrankung am liebsten loszuwerden. Er erlebt Tage, an denen er seine Erkrankung weniger wahrnimmt und besser (er-)tragen kann, und ebenso Tage, an denen er sich von seiner Hauterkrankung mehr als mitgenommen und betroffen fühlt. Und dann begegnen ihm unter Umständen Hautgesunde, die ihre gesunde Haut und ihr Aussehen mit den oben beschriebenen aktuellen Trends noch weiter optimiert haben. Und vielleicht hilft es uns – sei es als Hautbetroffene oder als Angehörige von Hautbetroffenen – zu verstehen, dass diese Trends der Selbstoptimierung die Geduld der Hauterkrankten noch weiter in Mitleidenschaft ziehen können. Man könnte ihnen entgegen, sie sollten doch „einfach“ geduldiger sein, das Hautleiden könnte im individuellen Verlauf doch schließlich auch schwanken oder vielleicht stagnieren. Man könnte darauf hinweisen, dass Ungeduld sich per se als alles andere als produktiv erweist, da sie Mißstände hervorhebt. Doch genau in dieser Ungeduld zeigt sich auch eine Form von Lebendigkeit und Energie, nämlich der Wunsch nach einem angenehmen Leben im Hier und Jetzt, der Wunsch danach, die schönen Momente des Alltags auszukosten, gerade weil man von einer chronischen Hauterkrankung betroffen ist.
Bein` open…
Diese Überlegungen können helfen, die Ungeduld der Hautbetroffenen als einen positiven Ausdruck von Lebendigkeit und Energie wertzuschätzen, die diese in sich tragen und in ihrem Leben zum Ausdruck bringen möchten. Und genau diese Energie ist es doch, die den Hautbetroffenen nach neuen Cremes oder Medikamenten fragen lässt, die für Linderung sorgen könnten, oder nach Aktivitäten streben lässt, die für Zeit- und Hautleidenvergessenheit sorgen können. Letztlich liegt es an uns allen, wie wir unsere Ungeduld im Umgang mit unliebsamen Erkrankungen in unserem Leben bewerten und und uns selbst fokussieren. Schon Joachim Ringelnatz sagte einst: „Sicher ist, dass nichts sicher ist. Selbst das nicht.“ Und vielleicht können seine weisen Worte Hautbetroffenen eine Stütze sein, da sich eben selbst ein ungewisser Krankheitsverlauf als ungewiss erweisen kann. Und genau diese Ungewissheit und Unvorhersagbarkeit sind es doch, die die Wendungen im Leben erst möglich machen. Denn wie würden wir leben, wenn wir genau den Ausgang und des Zeitpunkt unseres Ablebens wüssten? Wir würden wir leben, wenn wir alle Tiefs voraussehen würden? Und wie würde sich unser Leben gestalten, wenn sich Überraschungen nicht mehr als überraschend erweisen würden?
Dipl.-Psych. Sonja Dargatz