Nerven beruhigen
Anhaltende Schmerzreize wie beispielsweise Entzündungen machen die
feinen Nervenendigungen in Haut und Bindegewebe, die Schmerzmelder des
Körpers, mit der Zeit überempfindlich. Wissenschaftler des
Universitätsklinikums Heidelberg haben nun erstmals einen molekularen
Mechanismus entdeckt, mit dem die erhöhte Sensibilität wieder
heruntergefahren werden kann. Bisher waren nur zahlreiche Mechanismen
der Sensibilisierung, allerdings keine Gegenmaßnahmen der Nervenzellen
bekannt. Von der weiteren Erforschung des Signalwegs erhoffen sich die
Forscher um Professor Dr. Jan Siemens vom Pharmakologischen Institut
neue Erkenntnisse zur Entstehung chronischer Schmerzen. Zudem könnte der
neu entdeckte Mechanismus neue Ansatzpunkte für die Schmerztherapie
bieten. Die Arbeit ist in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift
„Cell“ erschienen.
Wie sich die Sensibilisierung der
Schmerzrezeptoren anfühlt, weiß jeder, der sich schon einmal einen
Sonnenbrand zugezogen hat. Selbst die leichte Berührungen der Kleidung
schmerzt, sonst wohltuende Wärme ist ebenfalls unangenehm. Bei
Verletzungen oder Entzündungen verhält es sich ähnlich. Diese Reaktion
des Nervensystems auf länger anhaltende Schmerzreize ist sinnvoll: Die
betroffenen Bereiche werden geschont, was wiederum die Heilung fördert.
Bekannter Botenstoff des Nervensystems beruhigt Nervenenden
Dabei
ist Schmerz nicht gleich Schmerz, für verschiedene Schmerzarten gibt es
unterschiedliche Detektoren. Die Heidelberger Wissenschaftler
untersuchten speziell die Sensibilisierung durch solche Schmerzreize,
die Nervenzellen mit Hilfe eines bestimmten Proteins an ihrer Oberfläche
erfassen. Dieser „Schmerzsensor“ TRPV1 reagiert u.a. auf Inhaltsstoffe
von Pfeffer, auf Hitze, Säure und eben auch bestimmte Botenstoffe des
Immunsystems, die bei Entzündungen ausgeschüttet werden. Hält der
Schmerzreiz länger an, wie das bei jeder Entzündung der Fall ist, wird
TRPV1 verändert oder häufiger gebildet. Die Folge: Die Nervenenden sind
leichter reizbar als sonst und melden bereits schwache Reize als Schmerz
an das Gehirn.
Das Signal zur Beruhigung gibt ein
Universal-Botenstoff des zentralen Nervensystems, GABA, dessen Rolle in
der Schmerzregulation des Gehirns und des Rückenmarks zwar bekannt ist,
der bisher aber nicht im Bereich der Nervenendigungen vermutet wurde.
Genau dort entdeckte ihn die Arbeitsgruppe von Professor Siemens und
wies auch den passenden Bindungspartner, das Eiweiß GABA B1, auf der
Oberfläche der Nervenzellen nach. Die Wissenschaftler zeigten: Wird GABA
B1 vom Botenstoff GABA aktiviert, versetzt es den TRPV1-Schmerzsensor
wieder in seinen Ausgangszustand. Wie genau das funktioniert, muss noch
geklärt werden.
Keine Totalblockade – wichtige Reize kommen weiterhin durch
„Das
Besondere an diesem Signalweg ist die differenzierte Wirkweise: Er
schaltet das Schmerzprotein TRPV1 nicht komplett ab, sondern macht nur
die erhöhte Reizbarkeit rückgängig. Die Nervenendigungen bleiben dadurch
weiterhin empfänglich für Reize von außer- und innerhalb des Körpers“,
so Siemens. Wie wichtig dies ist, zeigen frühere Versuche, Medikamente
gegen die Überempfindlichkeit der Nervenenden bei anhaltenden Schmerzen
zu entwickeln. Die bisher erprobten Wirkstoffe schalten TRPV1 komplett
aus. Doch ohne TRPV1 sind die Nervenzellen scheinbar auch nicht mehr in
der Lage, die Körper-temperatur zu regulieren und es kommt zu einem
starken, fieberähnlichen Anstieg der Körpertemperatur.
„Der neu
entdeckte Signalweg könnte eine erste Ansatzmöglichkeit sein, gezielt
die Schmerz-überempfindlichkeit auf Ebene der Nervenenden zu dämpfen,
ohne dabei wichtige Regulationsprozesse im Körper zu stören“, sagt der
Biochemiker. Wirkstoffe, die diesen Mechanismus in Gang setzen, könnten
z.B. dort helfen, wo der Schmerzauslöser und damit auch die
Sensibilisierung der Nervenenden dauerhaft bestehen bleibt – wie bei
chronischen Entzündungen. Eventuell ließe sich der neue Mechanismus auch
nutzen, um der Entstehung chronischer Schmerzen z.B. nach
Bandscheibenvorfällen oder an Operationsnarben vorzubeugen. Das muss die
weitere Forschung zeigen.
Literatur:
“GABA Blocks Pathological but Not Acute TRPV1 Pain Signals”
Hanack
C, Moroni M, Lima WC, Wende H, Kirchner M, Adelfinger L,
Schrenk-Siemens K, Tappe-Theodor A, Wetzel C, Kuich PH, Gassmann M,
Roggenkamp D, Bettler B, Lewin GR, Selbach M, Siemens J.
Cell. 2015 Feb 12; 160(4):759-70. doi: 10.1016/j.cell.2015.01.022.
Universitätsklinikum und Medizinische Fakultät Heidelberg
Krankenversorgung, Forschung und Lehre von internationalem Rang
Das
Universitätsklinikum Heidelberg ist eines der bedeutendsten
medizinischen Zentren in Deutschland; die Medizinische Fakultät der
Universität Heidelberg zählt zu den international renommierten
biomedizinischen Forschungseinrichtungen in Europa. Gemeinsames Ziel ist
die Entwicklung innovativer Diagnostik und Therapien sowie ihre rasche
Umsetzung für den Patienten. Klinikum und Fakultät beschäftigen rund
12.600 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und engagieren sich in
Ausbildung und Qualifizierung. In mehr als 50 klinischen Fachabteilungen
mit ca. 1.900 Betten werden jährlich rund 66.000 Patienten voll- bzw.
teilstationär und mehr als 1.000.000 mal Patienten ambulant behandelt.
Das Heidelberger Curriculum Medicinale (HeiCuMed) steht an der Spitze
der medizinischen Ausbildungsgänge in Deutschland. Derzeit studieren ca.
3.500 angehende Ärztinnen und Ärzte in Heidelberg.
Quelle: Informationsdienst Wissenschaft e. V.
19.02.2015 15:02